Julia Gründisch: Marianne, erzähl uns etwas von deinem beruflichen Weg. Wie bist du selbst ins Berufsleben eingestiegen?
Marianne Maurer: Ich habe das Handelsdiplom abgeschlossen und kurz als Sekretärin gearbeitet. Mir war aber relativ schnell klar, dass ich das nicht ewig machen möchte. Und so habe ich mich nach kurzer Zeit im Beruf umorientiert, ein Praktikum in einem Kinderheim absolviert und mich anschliessend zur Lehrerin ausbilden lassen. Danach war ich knapp ein Jahr in Indien und Nepal auf Reisen.
Nach meiner Rückkehr in die Schweiz unterrichtete ich in Gebenstorf an der Primar- und Sekundarschule Deutsch als Zweitsprache und übernahm später eine Primarschulklasse. Die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern gefiel mir sehr gut, aber auch in diesem Job sehnte ich mich nach einiger Zeit nach einer Veränderung – nach etwas anderem als Unterrichten.
Ein Angebot des Departements für Bildung, Kultur und Sport (BKS) kam gerade richtig, und so arbeitete ich schon bald als Inspektorin für «Deutsch für Fremdsprachige». Nach fünf Jahren wechselte ich innerhalb des BKS und leitete während zwei Jahren die Fachstelle für interkulturelle Erziehung.
Mein damaliger Partner betrieb in Baden ein Restaurant, und als ich mir erneut eine Veränderung wünschte, fing ich bei ihm an und wurde Wirtin. Allerdings musste ich diesen Beruf gesundheitsbedingt nach einem Jahr wieder aufgeben. Wir zogen in die Ostschweiz, wo ich nach längerer Suche in St. Gallen die Leitung der Rückkehrberatungsstelle für Asylsuchende übernahm. Fünf Jahre später stiess ich auf ein Inserat des Vereins Lernwerk – und hier bin ich bis heute geblieben.
Du arbeitest im Lernwerk als Geschäftsstellenleiterin Lehrbetriebsverbund und Supported Education. Was sind deine Aufgaben?
Das ist ganz unterschiedlich. Mit dem Lehrbetriebsverbund (LBV) begleiten wir Jugendliche und junge Erwachsene während ihrer Lehre. Am Anfang hatten wir etwa 12 Lernende, mittlerweile sind es jedes Jahr rund 40, die wir in ihrer Berufsausbildung unterstützen. Damit ist natürlich auch unser Team gewachsen. Mit jeder neuen Fachperson, die zu uns stösst, erhalten wir auch eine neue Perspektive. Diese Vielfalt ist wertvoll – so finden wir für jede Situation die passende Unterstützung.
Seit ich vor 13 Jahren im Lernwerk angefangen habe, gab es viele strukturelle Veränderungen. Zu meinen Aufgaben als Leiterin des LBV gehörte auch die Weiterentwicklung des Betriebs. Früher waren alle Lernenden direkt beim LBV angestellt. Mittlerweile arbeiten wir auch mit Partnerbetrieben zusammen, die die Lernenden selbst anstellen. Wir haben aber auch zwei Programme entwickelt und lanciert: Supported Education für Jugendliche, die von der IV unterstützt werden und die berufliche Grundbildung mit Support für Flüchtlinge.
In welchen Bereichen brauchen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen eure Unterstützung?
Das ist ganz unterschiedlich. Im LBV arbeiten wir mit Jugendlichen, die mit individuellen Lernzielen beschult wurden. Bei Supported Education unterstützen wir die Berufslernenden dabei, ihre Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt zu absolvieren. Zu uns kommen aber auch Jugendliche und junge Erwachsene, die noch nicht lange in der Schweiz sind und mit sprachlichen Barrieren zu kämpfen haben. Das hält die jungen Leute aber nicht davon ab, Grossartiges zu leisten. Oft braucht es uns auch einfach, damit Lernende einen «persönlichen Knopf» lösen können.
Ich bin immer wieder erstaunt, was die Lernenden alles meistern. Trotz der Herausforderungen schreiben sie gute Noten und machen tolle Abschlüsse. Das erfüllt mich natürlich mit Stolz.
Was ist dir bei der Zusammenarbeit mit den Lernenden besonders wichtig?
Sie sollen vor allem wissen, dass ich an sie glaube. Gerade wenn die Schulbildung bisher eine Herausforderung war oder die Situation zuhause schwierig ist, braucht es diese Unterstützung und den Glauben an die Teilnehmenden.
Wir versuchen, die Lernenden zu fördern, aber auch zu fordern – wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe, damit sie lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Gibt es dazu vielleicht die eine oder andere Anekdote?
Da haben sich in den Jahren einige angesammelt. Wir hatten beispielsweise mal einen Teilnehmer, der sich selbst von den überbetrieblichen Kursen (ÜK) abgemeldet hat. Da mussten wir natürlich intervenieren, aber geschmunzelt haben wir schon.
Ein anderes Mal war eine Lernende bei uns im LBV, die mit der Betreuung unglücklich war. Wir haben dann mit ihr und den Eltern ausgemacht, dass sie eine Zeit lang von ihrer Lehrerin unterstützt wird. Gegen Ende der Lehre wollte sie aber wieder zu uns in die Lernbegleitung kommen. Heute ruft sie mich ab und zu an und fragt, ob wir eine Runde mit dem Hund spazieren gehen.
Das heisst, die Beziehung zu den Lernenden ist nicht zwingend mit dem Lehrabschluss zu Ende?
Es wissen alle, dass sie sich jederzeit melden können, falls sie Rat brauchen. Manchmal braucht es ein, zwei Gespräche, ein andermal können wir ihnen dabei helfen, die richtige Unterstützung zu finden.
Es ist auch schön zu sehen, welchen Weg sie nach der Lehre gehen oder welche Türen sich ihnen öffnen. Manche gratulieren mir auch noch nach Jahren zum Geburtstag, andere sehe ich mal auf einen Tee. Das ist aber natürlich kein Muss.
Nun wirst du pensioniert. Was waren deine persönlichen Highlights in der Zeit im Lernwerk?
Das ist schwierig zu sagen, ich kann da keinen einzelnen Moment herauspicken. Früher haben wir Anfang August jeweils eine Einführungswoche für alle Lernenden im Lernwerk organisiert. Diese gemeinsame Zeit habe ich jeweils sehr genossen. Wir konnten uns gegenseitig kennenlernen und den Grundstein für unsere Zusammenarbeit legen.
Und die Abschlüsse im Juni waren und sind natürlich auch immer ein spezieller Moment. Jedes Jahr warten wir gespannt ab – und Jahr für Jahr schafft der Grossteil der Lernenden (mit ganz wenigen Ausnahmen) ihren Abschluss. Wir veranstalten dann auch ein Fest, an dem wir die Lehrabschlüsse gemeinsam mit allen Lernenden des Jahrgangs feiern.
Hast du bereits Pläne für deine bevorstehende Pensionierung?
Ich habe sehr viele Ideen und hoffe, dass es mir gelingt, viele davon umzusetzen. Langweilig wird mir sicher nicht. Ich möchte gerne wieder einen Hund halten; den alten vermisse ich noch immer, obwohl er bereits seit sechs Jahren verstorben ist.
Zudem möchte ich auch seit Langem ein Kinderbuch schreiben. Während meiner Zeit als Primarlehrerin haben mich diese Bücher immer fasziniert. Das ist also ein konkretes Projekt, das ich gerne an die Hand nehmen würde, und ich wünsche mir, dass ich dafür den Mut und die Musse finde.
© Fotos: Marcel Marlovits